07.12.2023 | Digitales kulturelles Erbe

Wörterbücher in neuem Gewand

Was hat die Palatschinke mit der Plazenta zu tun? Warum sollen jemandem die Planeten gelesen werden? Und weshalb bezeichnen Beine nicht nur unsere Extremitäten? Antworten darauf findet man im weiterentwickelten Online-Wörterbuch zu bairischen Mundarten, erzählt ÖAW-Sprachforscher Philipp Stöckle.

Digitale Tools sind unverzichtbar, um den Sprachschatz zu erhalten. © AdobeStock

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum es Brustbein, Schlüsselbein, Schienbein oder Elfenbein heißt - Obwohl das doch gar keine Beine im klassischen Sinn sind? Das Langzeitprojekt „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich“ (WBÖ) gibt Antworten auf Rätsel wie diese. Es zeigt, dass sich die Sprache in einem ständigen Wandel befindet, sich Bedeutungen erweitern oder verengen. Der Sprachforscher Philipp Stöckle vom Austrian Centre for Digital Humanities und Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigt sich mit diesen Sprachwandelerscheinungen. 

Stöckle ist Redakteur des Langzeitprojekts WBÖ, bei dem nicht nur regelmäßig neue Wörterbuchartikel entstehen, die den Sprachgebrauch der ländlichen Bevölkerung Österreichs im frühen 20. Jahrhundert abbilden. Auch die fünf bereits publizierten Bände werden texttechnologisch aufbereitet und gemeinsam mit der WBÖ-Datenbank auf dem „Lexikalischen Informationssystem Österreich“ (LIÖ) online gestellt. „Letztes Jahr ist der erste digitalisierte Band online gegangen, jetzt sind auch die Bände zwei und drei zugänglich. Damit haben wir bereits mehr als die Hälfte der Wörterbücher retrodigitalisiert, die zwischen 1970 und 2015 erschienen sind“, erzählt Stöckle. Er hofft, das Digitalisierungsprojekt im nächsten Jahr abschließen zu können. Eine Besonderheit bei der Veröffentlichung: Der Buchstabe b ist aufgrund der Aussprache in den Dialekten auch zugleich p, d ist auch t.

Das Online-Dialektwörterbuch wendet sich explizit nicht nur an Expert:innen und Sprachforscher:innen, sondern auch an interessierte Lai:innen, die Freude daran haben, die Herkunft und Genese von Wörtern besser zu verstehen lernen. Wir haben fünf Begriffe herausgegriffen, um zu zeigen, wie spannend das sein kann.

Palatschinke

In Österreich ist sie eine beliebte Mehlspeise: Dabei gibt es die Palatschinke auch in Ungarn, Tschechien und Rumänien. Im Ungarischen bezeichnet die palacsinta einen Eierkuchen, was wiederum auf rumänisch plǎcintǎ zurückgeht und ursprünglich auf das Lateinische placenta – ein kleines Gebäck – verweist, das nicht unbedingt süß sein muss.  Sprachhistorisch ist die Palatschinke somit mit der Plazenta, also dem Mutterkuchen verwandt.

Bein

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum es Brustbein, Schlüsselbein, Schienbein oder Elfenbein heißt? Gemeint sind nicht die Extremitäten, sondern unsere Knochen. Diese Bedeutung ist in den Dialekten noch erhalten, während das Bein in der Standardsprache das gesamte Körperglied bestehend aus Oberschenkel, Knie, Unterschenkel und Fuß bezeichnet. Diese Bedeutungsvielfalt ist bereits in alt- und mittelhochdeutscher Zeit belegt. Interessant ist dabei auch die Ähnlichkeit zum englischen Bone, da das Englische ebenfalls eine germanische Sprache ist. Aber auch die Gebeine (Knochen, Skelett) weisen noch auf diesen Ursprung hin.

Planet

Die Bedeutung Himmelskörper dieses griechischen Lehnwortes ist heute allgemein bekannt. Aber es gibt auch eine übertragene Bedeutung, die stark von der Astrologie beeinflusst war und sich von den Jahrmärkten herleiten lässt. Dort wurden Planeten verkauft, das waren mit Prophezeiungen oder Glücksnummern bedruckte Zettel, die der Planetenverkäufer anbot. Meist wurden diese von zahmen Vögeln oder weißen Mäusen ausgelost. Einem die Planeten lesen ist jedoch kein Glückgriff: Es bedeutet nämlich, jemandem derb die Meinung sagen.

bankettieren

Wir kennen das Bankett heute meist als Festmahl oder Staatsessen. Als Verb ist es in den Dialekten weniger glamourös: Es bedeutet so viel wie verschwenden, vertun, aber auch in sich hineinstopfen. Kommt da vielleicht auch die Dekadenz eines Staatsessens zum Ausdruck? Die verschwenderische Gier eines Festmahls?

Pfnauser

In der Grippezeit hört man es überall. Erkältungen und Verkühlungen verlangen den Menschen häufig einen Pfnauser ab. Gemeint ist damit ein tiefer Atemzug. Auch das Verb pfnausen bedeutet schwer atmen, keuchen, schnauben. Dieser Begriff geht auf mittelhochdeutsch pfnûsen also niesen, schnauben, schnuppern zurück.
 


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