01.09.2023 | Neuerscheinung

Wie Pferde die Wiener Moderne prägten

Um 1900 waren Pferde in Wien allgegenwärtig. Wie sie den Aufstieg Wiens zur Metropole antrieben und welche Spuren von den wichtigsten Helfern der Menschen im Stadtbild geblieben sind, durchleuchtet ein neues Buch von ÖAW-Mitglied Gottfried Brem.

Pferde und Wien - eine Jahrhunderte alte Beziehung. © Adobe Stock

Wien gilt als Welthauptstadt der Fiaker. Als unverzichtbare Transportmittel, als Zugtiere für Kutschen und Straßenbahnen, als Reittiere oder auch als Prestige- oder Herrschaftsobjekte waren Pferde jahrhundertelang fester Bestandteil der Wiener Alltagskultur. Schätzungsweise um die 200.000 Pferde lebten gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Hauptstadt.

In seinem neuen Buch „Rösser in Wien“, erschienen im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) durchleuchtet Gottfried Brem, Mitglied der ÖAW und emeritierter Professor für Tierzucht und Genetik an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, die verschiedenen Rollen und Funktionen die Pferde in Wien innehatten und erklärt, warum der Aufstieg Wiens zur Großstadt ohne diese Tiere nicht denkbar gewesen wäre.

Spuren einer großen Tradition

In Ihrem jüngsten Buch „Rösser in Wien“ widmen Sie sich dem Pferd als festen Bestandteil der Wiener Alltagskultur. Welche Spuren der jahrhundertealten Beziehung von Mensch und Pferd sind in Wien bis heute zu finden?

Gottfried Brem: Es gibt eine Vielzahl von Spuren, angefangen mit den materiellen wie dem Hofmarstall, dem Museumsquartier, den sehr vielen Statuen und Denkmälern mit Pferden und Reitern in der darstellenden Kunst bis hin zu den faktisch noch bestehenden wie der Hofreitschule, den Fiakern und den Ponys im Prater und vielem anderen mehr. Die Bedeutung von Pferden in Wien hat sich natürlich gewandelt, gänzlich verloren gegangen ist sie nicht und wird sie auch nicht. Das wird u.a. demonstriert durch die hohe Dichte an Reitvereinen und Pferdesportaktivitäten, die bestehende Trabrennbahn, die Campagnereiter-Gesellschaft und weiteren reiterlichen Aktivitäten in und um Wien.

Unverzichtbar waren Pferde bei ihrem Einsatz im Turnier, bei Ritterspielen und Wettrennen."

Können Sie kurz skizzieren, welchen zeitlichen Bogen Ihr Buch spannt?

Brem: Der Bogen, den das Buch spannt, umfasst an die zwei Jahrtausende. Es beginnt mit archäologischen Spuren von Pferden, wie einem Prunksattel und Hufeisen in der Erde unter dem Areal des Wiener Stadtgebietes. Im Mittelalter waren Pferde aus dem Leben der Menschen in Wien nicht wegzudenken. Sie dienten als unverzichtbares Transportmittel, als Reittiere, waren Statussymbole, Zugpferde für Wägen und Kutschen und vieles mehr. Unverzichtbar waren Pferde bei ihrem Einsatz im Turnier, bei Ritterspielen und Wettrennen, wie dem Wiener Scharlachrennen - im 14. bis 16. Jahrhundert ein zentrales Ereignis. 

Unter zahlreichen Herrschern und Herrscherinnen des Habsburger Kaiserreiches war die Lebenskultur von Pferden geprägt. Eine große Förderin der Pferdezucht war Kaiserin Maria Theresia, die mit der Unterfertigung des Prager Patentes zum Auslöser für die Erfolgsgeschichte der österreichischen Pferdezucht und Gestütsbranche wurde.

Spanische Hofreitschule

Eine der prachtvollsten Reithallen der Welt steht mitten in Wien: die Spanische Hofreitschule. Wie hat sie die Pferdezüchtung, Haltung und Ausbildung geprägt?

Brem: Die streng geregelte Züchtung der Lipizzaner war ausgerichtet auf ein optimales Exterieur. Sie war nicht nur Wegbereiter, sondern auch Basis und nötige Voraussetzung um die kunstvolle und aufwendige klassische Reitkunst in der Spanischen Hofreitschule realisieren und demonstrieren zu können. Unentbehrlich für die Erbringung des hohen Leistungsniveaus waren und sind optimale Haltung der Pferde.

Das Ziel in der klassischen Reitkunst ist, das Pferd durch systematisch aufbauende Arbeit so auszubilden und zu reiten, dass die „hohe Schule“ mit spielerischer Leichtigkeit in harmonischem Einklang und auf freiwilliger Basis gelingt.

Pferde als Entwicklungshelfer

Sie beschreiben u.a. auch die Rolle von Pferden in der Stadt und ihren Beitrag zum Aufstieg Wiens zur Großstadt. Inwiefern wäre diese Entwicklung ohne Pferde undenkbar gewesen?

Brem: Dass Pferde eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und dem Wachstum von großen Städten gespielt haben, gilt nicht nur für Wien, sondern auch für andere Metropolen. Nichtsdestotrotz ist der Einfluss gerade in Wien ein besonderer, denn hier verlief die Entwicklung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts besonders rasant. Dazu kam, dass die Gleise der Eisenbahntrassen um 1860 vor dem Wall endeten und der weitere Transport der Waren in die inneren Stadtbezirke hauptsächlich mit Pferden erfolgte. Die Bevölkerung Wiens betrug im Jahr 1857 gerade mal 637.000 Einwohner:innen und wuchs bis zum Jahr 1890 auf 1,43 Millionen! Für die damit verbundene enorme Bautätigkeit, die notwendige Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie den innerstädtischen öffentlichen Verkehr – der Pferdetramway – waren Pferde unerlässlich.

Pferde für die Versorgung der Menschen in Wien unentbehrlich."

Ein Relikt aus dieser vergangenen Zeit sind die Fiakerpferde, die noch heute die Wiener Innenstadt prägen. Wann begann der Abschied der Pferde aus dem Stadtbild?

Brem: Noch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und auch für kurze Zeit nach dem zweiten Weltkrieg waren Pferde für die Versorgung der Menschen in Wien unentbehrlich. In den 1950er-Jahren wurden auf der einen Seite Schutt und Abraum mit Hilfe von Pferden aus der Stadt entfernt, auf der anderen Seite lebensnotwendige Produkte landwirtschaftlicher Betriebe in die Stadt gebracht. Kolonnen von Pferdefuhrwerken aus dem Umland hin zum Wiener Naschmarkt bezeugten diese essentielle Versorgungsfunktion. Mit der Vollmechanisierung von (Last)Verkehr und Landwirtschaft hat sich der Abschied von Pferden als Arbeits- und Transporttieren vor mehr als einem halben Jahrhundert, mit Ausnahme der Fiaker, weitgehend endgültig vollzogen.

 

AUF EINEN BLICK

Gottfried Brem, Mitglied der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ist Professor emeritus der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Er forscht an den Schnittstellen von Veterinärmedizin, Landwirtschaft und Biotechnologie. Sein neues Buch „Rösser in Wien“ ist im Verlag der ÖAW erschienen.

Rösser in Wien

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