13.10.2023 | Symposium Convergence

Wenn programmierte Zellen auf Tumorjagd gehen

Die Fortschritte in der Digitalisierung sind enorm. Längst haben sie auch Biologie und Medizin erfasst. Doch wohin wird sich das Verhältnis von Leben und Technik in Zukunft entwickeln? Und was ist heute in der Biomedizin mit künstlicher Intelligenz bereits möglich? Diese Fragen beleuchtet das Symposium "Convergence? Interfaces of the Digital and the Living". Christoph Bock, ÖAW-Bioinformatiker und Organisator der Veranstaltung, erklärt im Gespräch, was die Informatik mit dem Code des Lebens zu tun hat.

Nicht nur der Mensch verändert die Technik – die Technik verändert auch den Menschen. Wohin, will ein Symposium der ÖAW diskutieren. © Alan Warburton/BBC/Better Images of AI/CC-BY 4.0

Cyborgs, also Mischwesen aus Mensch und Maschine, waren noch vor wenigen Jahren Science Fiction. „Es gibt heute bereits Gehirn-gesteuerte Prothesen, die auf chirurgischem Weg mit dem Nervensystem verbunden werden“, sagt Christoph Bock vom CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Cyborgs sind also inzwischen Realität.

Und diese Entwicklung wird weiter gehen, ist Bock überzeugt. Leben und Technik werden in Zukunft noch enger verwoben sein. Wohin die Reise gehen könnte, möchte Bock beim Symposium "Convergence? Interfaces of the Digital and the Living" vom 17. bis 18. Oktober in Wien näher beleuchten. Auf Einladung der ÖAW und des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) kommen hochkarätige internationale Speaker nach Wien, um über den Homo Sapiens 2.0 zu diskutieren.

Sind wir alle Cyborgs?

Warum ein Symposium zu diesem Thema?

Christoph Bock: In den vergangenen 20 Jahren haben wir enorme Fortschritte in der Computertechnik gesehen, mit dem Internet und unseren Handys. Ein Smartphone ist heute etwa so leistungsfähig wie ein Supercomputer aus den 90er-Jahren. Und das alles, um Katzenvideos anzuschauen! Spaß beiseite, unser ganzes Leben ist mittlerweile digitalisiert. Gleichzeitig hat sich auch die biomedizinische Forschung enorm weiterentwickelt. Während der COVID-Pandemie haben Wissenschaftler:innen mit neuen Technologien einen sehr wirksamen Impfstoff entwickelt. In nur einem Jahr, das ist beeindruckend. An der Schnittstelle von Computertechnik und Biomedizin verwenden wir heute Blutzellen, die wir im Labor auf bestimmte Tumorzellen trainiert haben, um Krebs wirksam zu bekämpfen. Wir schicken umprogrammierte Zellen auf Tumorjagd. Die großen Fortschritte an der Schnittstelle zwischen Biotechnologie und Digitalisierung bringen enorme Chancen mit sich – aber natürlich auch Risiken, die wir verstehen und minimieren müssen.

An der Schnittstelle von Computertechnik und Biomedizin verwenden wir heute Blutzellen, die wir im Labor auf bestimmte Tumorzellen trainiert haben, um Krebs wirksam zu bekämpfen.

Was erwartet Besucher:innen des Symposiums?

Bock: Wir werden das Spannungsverhältniss und die Schnittstellen zwischen Leben und Technik erörtern. Wir haben zum Beispiel Gäste, die über die Möglichkeit von Coprozessoren im Gehirn reden. Damit könnte man sich vielleicht vor einem Urlaub in Griechenland einfach die Sprachkenntnisse auf den Gehirnchip laden und sich dann fließend auf Griechisch unterhalten. Die Erweiterungen der menschlichen Möglichkeiten durch Technologie – Stichwort Cyborg – sind generell ein wichtiges Thema. Es gibt ja heute bereits Gehirn-gesteuerte Prothesen, die auf chirurgischem Weg mit dem Nervensystem verbunden werden. Die Träger:innen können damit einen Ball präzise genug in die Luft werfen, um einen Tennisaufschlag zu vollführen. Was noch nicht so gut klappt, ist die Rückmeldung der Prothese an das Gehirn. Derzeit fällt den Träger:innen also noch das Gefühl im Arm. Hier werden wir in den kommenden Jahren aber Fortschritte sehen. 

Es ist erstaunlich, dass unser Körper überhaupt funktioniert, mit all dieser Komplexität.

Verkörperte Intelligenz ist ebenfalls einer der Themenblöcke.

Bock: Es heißt, dass menschliche Intelligenz nur in Verbindung mit unserem Körper entstehen konnte. Oktopoden sind ebenfalls Beispiele für verkörperlichte Intelligenz: Sie haben ein dezentrales Nervensystem, in dem einzelne Arme durch eigene Nervenbündel einen bestimmten Grad von Autonomie haben. Ähnliche Konzepte versucht einer unserer Redner:innen in Robotern umzusetzen. Am zweiten Tag gibt es dann einen Schwerpunkt auf gesellschaftliche Perspektiven und wir diskutieren über Technologieethik und nachhaltige Innovationen. 

INFORMATIK UND DER CODE DES LEBENS

Sie forschen am CeMM - Forschungszentrum für molekulare Medizin der ÖAW. Wie passt ihre eigene Forschungsarbeit zur Konferenz?

Bock: Nach meinem Studium in der Informatik und den Wirtschaftswissenschaften habe ich in der Bioinformatik promoviert, mit Schwerpunkt auf der Epigenetik – sozusagen dem zweiten Code unseres Erbguts. Dort habe ich gelernt, biologische Zellen als programmierte Bausteine zu sehen. Heute erforsche ich am CeMM der ÖAW und an der Medizinischen Universität Wien, wie wir programmierte Zellen therapeutisch nutzen können. 

Genetik, Epigenetik, Genomstruktur – in der Biologie scheinen die Dinge immer komplizierter zu werden, je genauer man hinschaut. War das eine Motivation?

Bock: Es ist erstaunlich, dass unser Körper überhaupt funktioniert, mit all dieser Komplexität. Die Evolution ist bemerkenswert, aber sie hatte natürlich auch viele Millionen Jahre für Versuch und Irrtum. In der modernen biomedizinischen Forschung versuchen wir nicht nur, Krankheiten biologisch zu verstehen. Sondern wir können auch gezielt eingreifen. Für bestimmte Formen von Blutkrebs gibt es bereits zugelassene Therapien, bei denen bestimmte Immun-Zellen (sogenannte CAR T-Zellen) ganz gezielt programmiert werden, die Krebszellen abzutöten. Wir erforschen, wie wir das Immunsystem bei der Jagd nach Krebszellen unterstützen können. Eine Zelle, die wir wie einen biologischen Computer programmieren, kann hoffentlich in Zukunft selbst erkennen, ob eine Zelle gesund oder entartet ist – viel genauer, als dies mit klassischen Medikamenten möglich ist.

Unser Erbgut ist kein sauberer Datenspeicher, sondern eher wie ein intensiv benutztes Kochbuch, mit Randnotizen, fehlenden Seiten und Suppenflecken.

Werden wir je die perfekte Kontrolle über eine Zelle erlangen?

Bock: Ja, das kriegen wir irgendwann hin, zumindest für solche therapeutischen Zellen, die im Labor programmiert werden. Das ist aber wirklich kompliziert und erfordert sehr umfassende Tests. Die Biologie ist keine Ingenieurwissenschaft. Flugzeuge können wir heute komplett im Computer bauen, weil die Physik sehr präzise ist. In der Biologie gibt es viel mehr Grauzonen, Ausnahmen, Komplexitäten. Unser Erbgut ist auch kein sauberer Datenspeicher wie eine CD, sondern eher wie ein intensiv benutztes Kochbuch, mit Randnotizen, fehlenden Seiten und Suppenflecken.

Simulierte Zellen ALS VISION

Wo liegt der qualitative Unterschied zwischen den sauberen Systemen der Physik und dem hochkomplexen Wildwuchs der Biologie?

Bock: Die Physik beschäftigt sich zu einem großen Teil mit Systemen, die von Gleichgewichten geprägt werden. Die Biologie passiert weit entfernt von Gleichgewichten, selten werden optimale Zustände erreicht. Stattdessen geht es darum, evolutionär erfolgreich zu sein oder zumindest zu überleben und sich fortzupflanzen. Je komplexer ein Organismus, desto weniger spielt zum Beispiel der Energiebedarf eine Rolle. Wir Menschen nutzen einen großen Teil unserer Energie für unser Gehirn und für das Immunsystem, das uns gegen Krankheiten verteidigt. Dies ermöglicht es uns überhaupt erst, auf engem Raum und in komplexen Gesellschaften zusammenzuleben.

Können wir die Systeme trotzdem irgendwann gut genug verstehen, um eine Ingenieurwissenschaft aus der Biologie zu machen?

Bock: Von einer simulierten Zelle sind wir noch weit entfernt. Aber in zehn Jahren können wir einzelne Zellen hoffentlich einigermaßen präzise simulieren und in zwanzig Jahren dann vielleicht ein ganzes Organ. Aber perfekt werden diese Simulationen nie sein. Wir werden in absehbarer Zeit nicht auf Experimente verzichten können. Aber das ist ein ganz zentraler Teil der wissenschaftlichen Vision von der Biologie als Ingenieurwissenschaft: Zu bauen, um zu verstehen.

 

AUF EINEN BLICK

Christoph Bock forscht am CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und ist Professor für Medizinische Informatik an der Medizinischen Universität Wien. Zuvor war er u.a. am MIT, in Harvard und am Max Planck-Institut für Informatik tätig. Der zweifache ERC-Preisträger ist seit 2017 Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW und erhielt 2022 den Erwin Schrödinger-Preis der ÖAW.

Symposium "Convergence? Interfaces of the Digital and the Living" findet vom 17. bis 18. Oktober an der ÖAW in Wien statt (Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien). Die Veranstaltung ist mit einer Anmeldung auch öffentlich zugänglich. Am 17. Oktober um 18 Uhr findet eine Podiumsdiskussion zum Thema „Living the future: How biomedical technology and AI may change society and humanity“ statt, die die Themen der Konferenz zusammenfasst.

Programm

Podiumsdiskussion

Anmeldung