06.10.2023 | Science Day

Vogel, Affe, Oktopus & Co: Wie intelligent sind Tiere?

Intelligenz ist auch im Tierreich weiter verbreitet, als man annehmen könnte. Die Kognitionsforscherin Alice Auersperg sprach bei einer Veranstaltung an der ÖAW über mitteilungsbedürftige Bonobos, leistungsfähige Vogelhirne, erstaunliche Schleimpilze und mehr.

Obwohl die Gehirne von Vögeln als vergleichsweise klein gelten, sind sie hochentwickelt und vollgepackt mit Nervenzellen. © Adobe Stock

Als Menschen verstehen wir uns als intelligente Wesen und übersehen dabei häufig, dass Intelligenz auch im Tierreich weit verbreitet ist. Darüber sprach die Biologin und Expertin für Vergleichende Kognitionsforschung Alice Auersperg im Rahmen des Science Day zum Thema “Life”, sowie der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 15-jährigen Bestehen der Jungen Akademie, an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Im Interview erklärt sie, was man unter Intelligenz versteht, wie sie sich entwickelt und was Menschen, Raben und Delfine gemeinsam haben.

Sie machen vergleichende Kognitionsforschung. Was heißt das?

Alice Auersperg: Uns interessiert, wie die Evolution von Intelligenz funktioniert. Wir wissen, dass intelligentes Verhalten in verschiedenen Spezies unabhängig voneinander entstanden ist und können durch Vergleiche zwischen den Arten neue Erkenntnisse über die Entwicklungsprozesse gewinnen.

Intelligenz ist ein schwieriger Begriff. Gilt das auch im Tierreich?

Auersperg: Ja, sicher. Ich kenne viele Forscher aus verschiedenen Fachgebieten und jeder hat seine eigene Definition von Intelligenz. KognitionsforscherInnen könnten sich vielleicht am ehesten auf eine grundlegende Definition einigen, die etwa so klingt: Intelligenz ist die Fähigkeit, sich durch das Prozessieren von Information flexibel an Komplexitäten in der Umwelt anzupassen. 

Intelligenz ist die Fähigkeit, sich durch das Prozessieren von Information flexibel an Komplexitäten in der Umwelt anzupassen. 

Macht diese unscharfe Definition Vergleiche schwierig?

Auersperg: Wir markieren Intelligenz nicht auf einer Messlatte und sagen, dass ein Delfin um ein Viertel weniger Intelligenz hat als ein Mensch. Aber man kann trotzdem Vergleiche anhand verschiedener Kriterien anstellen: Wenn man zum Beispiel verschiedene Spezies neurobiologisch untersucht, sieht man, dass die Gehirne einzelner Gruppen herausstechen. Primaten, Elefanten, Delfine, Papageien und Rabenvögel haben hochentwickelte Gehirne, die sie zu intelligentem Verhalten befähigen. Diese Tiergruppen nennen wir deshalb “Cognitive Cousins”.

Intelligentes Verhalten ist vielfältig. Welche Kriterien legt man hier an?

Auersperg: Wir schauen uns an, ob Verhalten innovativ oder stereotyp ist. Verhalten kann oft komplex aussehen, aber trotzdem genetisch determiniert sein. Echte Intelligenz ist innovativ und berücksichtigt zum Beispiel auch variierende soziale Situationen. Komplexes Verhalten reicht also nicht aus, um Intelligenz zu konstituieren. 

Was Intelligenz ausmacht

Unterscheidet sich menschliche Intelligenz qualitativ von der Intelligenz anderer hochentwickelter Tiere? 

Auersperg: Das ist immer eine Grauzone, weil die Bewertung sehr stark von der kognitiven Fähigkeit abhängt die man untersuchen möchte. Menschen haben kumulative Kulturen und können in ihrer Vorstellungskraft fiktive Szenarien durchspielen. Ob uns das einzigartig im Tierreich macht, darüber kann man streiten. Einige ForscherInnnen sagen, dass Tiere keine imaginären Zeitreisen in ihren Köpfen machen können. Andere KollegInnen sehen die Syntax der menschlichen Sprache als Unterscheidungsmerkmal. Aber einzelne Tiere scheinen sich in Experimenten an vergangene Situationen recht bildlich zu erinnern und andere können satzähnliche Wortfolgen bilden.

Wie Primaten, die sich durch Piktogramme oder Zeichensprache mitteilen?

Auersperg: Einige Primaten wie Kanzi der Bonobo konnten sich nach aufwendigem Training durch Piktogramme mitteilen, aber sie verwendeten keine komplexe Sprache mit Syntax und Grammatik. Auch der Graupapagei Alex konnte mehrere Wörter sinnvoll aneinanderreihen. Ob das “echter” Sprachgebrauch im menschlichen Sinne ist, darüber lässt sich streiten. Alex konnte aber auf jeden Fall Objekte in komplexe Kategorien einteilen und sie anhand von Farbe, Größe, Textur oder Material unterscheiden. 

Derartige Intelligenz sollten wir mit Ehrfurcht betrachten, statt sie besitzen zu wollen.

Wie kommt es, dass Vögel mit ihren vergleichsweise kleinen Gehirnen in solchen Tests so gut abschneiden?

Auersperg: ForscherInnen waren lange der Ansicht, dass ein Vogelhirn fast gänzlich aus Basalganglien besteht und entsprechenden Limitationen unterliegt. Erst Anfang der 2000er wurde anerkannt, dass das Vogelhirn komplett anders aufgebaut ist. Ein ganz anderes Areal übernimmt die Rolle, die der präfrontale Cortex in unseren Hirnen spielt. Zudem hat Forschung aus dem Jahr 2016 gezeigt, dass die Nervenzellen im Pallium von Vögeln viel dichter gepackt sind als in Hirnen von Säugetieren. Zum Beispiel hat das Pallium eines Raben mehr Nervenzellen als das eines Kapuzineraffen, obwohl dieses fast viermal so groß ist. Vogelhirne sind sehr hoch entwickelt, das ist auch ein Grund dafür, dass sie keine guten Haustiere sind. Derartige Intelligenz sollten wir mit Ehrfurcht betrachten, statt sie besitzen zu wollen.

Die intelligente Evolution 

Warum entsteht Intelligenz unabhängig in verschiedenen Arten?

Auersperg: Das ist nicht so einfach zu sagen. Eine der bekanntesten Theorien ist die Soziale-Intelligenz-Hypothese, die besagt, dass Intelligenz als Antwort auf die Komplexität von hierarchisch organisierten sozialen Strukturen entsteht. Wenn Individuen soziale Beziehungen managen müssen, um Allianzen zu schmieden, ist Intelligenz ein Vorteil. Bei Primaten etwa gibt es tatsächlich eine Korrelation zwischen der Gruppengröße und der relativen Größe des Neocortex. Die andere oft zitierte Erklärung nennt sich Technische-Intelligenz-Hypothese und geht davon aus, dass sich Intelligenz lohnt, wenn die Verfügbarkeit von Ressourcen stark schwankt. Inselspezies tendieren zum Beispiel zu größeren Gehirnen, weil die Bedingungen oft schwieriger sind.

Muss Intelligenz überhaupt ein Vorteil sein?

Auersperg: Nein, es gibt erfolgreiche Spezies, die überhaupt kein zentrales Nervensystem haben. Aber ein großes Hirn frisst so viel Energie, dass es einen Vorteil haben muss. Sonst würde sich der Aufwand nicht lohnen und höhere Intelligenz würde evolutionär schnell unter Druck geraten. Die Menschen und viele ihre Cognitive Cousins sind tendenziell opportunistische Problemlöser und sehr sozial, sie erfüllen also die Kriterien für beide genannten Erklärungsansätze.

Werkzeugnutzung als Zeichen von Intelligenz

Oktopoden können auch Werkzeuge nutzen, sind aber evolutionär ganz weit weg.

Auersperg: Die Intelligenz, die Oktopoden an den Tag legen, ist unglaublich dafür, dass ihr Nervensystem so anders aufgebaut ist als das der Wirbeltiere, aber auf Primaten-Level sind sie definitiv nicht. Trotzdem werfen sie wichtige Fragen auf: Intelligenz sollte sich am ehesten für soziale Wesen lohnen, die lange Leben führen. Aber Oktopoden leben solitär und werden nur wenige Jahre alt. Es lohnt aber anscheinend trotzdem, Intelligenz zu entwickeln. Wer weiß, welche Formen Intelligenz annehmen könnte, wenn Wirbeltiere nicht die dominante Lebensform auf der Erde wären. Schleimpilze oder Ameisenkolonien legen ebenfalls Verhalten an den Tag, das Anzeichen von Intelligenz hat. Solche emergenten Formen von Intelligenz in Gruppen einzelner Organismen sind aber nicht gut verstanden. 

Sie arbeiten viel mit Kakadus. Wie intelligent sind die?

Auersperg: Wir vergleichen die Werkzeugnutzung bei Kakadus mit Kindern und anderen Primaten, im Labor und in einer Forschungsstation in Indonesien, wo wir die Tiere in freier Wildbahn beobachten. Vor kurzem haben wir festgestellt, dass die Vögel in der Lage sind, mehrere komplexe Werkzeuge zu kombinieren. Sie schälen in der Natur Seemangos, um an den Kern heranzukommen. Danach formen sie “Keile”, “Messer” und “Löffel” aus verschiedenen Ästen, um an den essbaren Teil im Inneren zu gelangen. Die Post-Docs Mark o’Hara und Berenika Mioduszewska haben dieses hochkomplexe Werkzeugnutzung erstmals für Vögel in freier Wildbahen dokumentiert. 

Können wir durch künstliche Intelligenz etwas über die Evolution lernen?

Auersperg: Die Voraussetzungen, um Tierverhalten in einer Maschine zu replizieren, sind heute noch nicht gegeben. Um etwas zu lernen, müssten wir die künstlichen Agenten außerdem der Evolution aussetzen, was auch nicht so leicht ist. Das ist ein extrem interdisziplinäres Forschungsfeld und da passiert in den kommenden Jahren sicher noch einiges.

 

AUF EINEN BLICK

Alice Auersperg ist Kognitionsbiologin am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW. Sie erforscht die kognitiven Fähigkeiten von Papageien, insbesondere die unabhängigen Entwicklung des Werkzeuggebrauchs des Goffini Kakadus. Am Science Day "LIFE" der Jungen Akademie am 19.9.2023 hielt sie einen Vortrag unter dem Titel "Intelligent Life: Some Thoughts on the Evolution of Intelligence".