29.09.2023 | Grüne Gentechnik

„Bio und Gentechnik sind kein Widerspruch“

Simon Mühl ist nach seinem erfolgreich absolvierten Studium der Biotechnologie Biobauer in Deutsch-Wagram geworden. Im Interview spricht er über die Vorteile moderner Gentechnik für die Landwirtschaft, verstaubte Bioverbände und die Schwierigkeit, den Einsatz von Biotechnologie in faire Bahnen zu lenken. So wie die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) setzt auch er sich dafür ein, Grüne Gentechnik ohne Vorurteile und auf Basis wissenschaftlicher Fakten zu diskutieren.

Simon Mühl ist Biobauer und von den Vorteilen Grüner Gentechnik überzeugt. Derzeit darf er in Österreich aber keine gentechnisch veränderten Pflanzen anbauen. Ein Standortnachteil. © ÖAW/Daniel Hinterramskogler

Grüne Gentechnik ist in Österreich umstritten. Dabei prägen vor allem Angst und Unsicherheit das Bild der Debatten. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zeichnen aber ein anderes Bild von Grüner Gentechnik. Denn neue Methoden, wie die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete „Genschere“ CRISPR, ermöglichen gezielte Eingriffe in das Erbgut von Pflanzen, die zu denselben Ergebnissen führen wie konventionelle Züchtung – nur schneller und präziser. „Ich sehe keinen Unterschied zwischen Züchtung und modernen gentechnischen Werkzeugen“, sagt daher auch der Biolandwirt Simon Mühl. Er ist überzeugt, dass neue gentechnische Verfahren zahlreiche Vorteile bringen, etwa Pflanzen fit für den Klimawandel zu machen.

Auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat im Vorfeld einer neuen europäischen Gesetzgebung in den letzten Monaten die Chancen Grüner Gentechnik immer wieder öffentlich betont, etwa in Pressegesprächen und FAQs sowie zuletzt in einem offenen Brief, der neben der ÖAW von zahlreichen Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen in Österreich unterzeichnet wurde.

BIO UND GENTECHNIK VERTRAGEN SICH GUT

Als Experte für beide Gebiete, wie sehen Sie das Verhältnis zwischen biologischer Landwirtschaft und Gentechnik?
Simon Mühl: Bio und Gentechnik sind kein Widerspruch, auch wenn das oft anders dargestellt wird. Ich habe den Anspruch mit meiner biologischen Landwirtschaft hochwertigste Lebensmittel klimaverträglich herzustellen. Das ist meiner Meinung nach unabhängig von der Zuchtmethode und mit gentechnisch veränderten Pflanzen effizienter und produktiver möglich. Ich wundere mich auch immer, warum der Einsatz von Biotechnologie in verschiedenen Bereichen so unterschiedlich bewertet wird. In der Medizin wird die Anwendung von gezielten Immuntherapien, in deren Herstellung Gentechnik angewandt wird, gegen Krebs gefeiert und mit Nobelpreisen bedacht. In der Landwirtschaft hingegen geben wir uns bewusst mit veralteten Technologien zufrieden und verzichten auf die Vorteile moderner Technik.

In der Medizin wird die Anwendung von Gentechnik mit Nobelpreisen bedacht. In der Landwirtschaft hingegen geben wir uns mit veralteten Technologien zufrieden.

Warum ist das so?
Mühl: Hierzulande hat das sicher auch damit zu tun, dass eine große Tageszeitung von Anfang an Stimmung gegen den Einsatz von Biotechnologie in der Landwirtschaft gemacht hat und große Agrarkonzerne in der Vergangenheit gentechnische Züchtungen nicht immer zum größten gesellschaftlichen Wohl eingesetzt haben. Zudem gibt es gerade beim Thema Ernährung viele selbsternannte Expert:innen, die populistisch agieren und ohne wissenschaftliche Daten polarisieren. Das erschwert faktenbasierte Debatten enorm. Die Politik und die Lebensmittelindustrie in Österreich verfolgen zudem die Strategie, der Feinkostladen der EU sein zu wollen, was oft durch romantisierende Werbung verstärkt wird. Das Marketing-Bild vom “naturbelassenen” Österreich will man sich hier nicht durch Gerede über Gentechnik zerstören lassen.

VORTEILE GRÜNER GENTECHNIK FÜR LANDWIRTSCHAFT ÜBERWIEGEN

Warum gelten Pflanzen, deren Genome wir seit tausenden Jahren durch Züchtung verändern, heute als “natürlich”?
Mühl: Ich sehe keinen Unterschied zwischen Züchtung und modernen gentechnischen Werkzeugen, außer dass die neuen Methoden präziser und viel schneller sind. Ich verstehe deshalb auch nicht, wieso wir uns nach wie vor mit alten Züchtungen abmühen, wenn wir mit moderner Technik in Wochen das erreichen können, was früher Jahre gedauert hat. Wir können es uns heute nicht mehr leisten, auf Gentechnik zu verzichten, nur weil sie einer falschen Vorstellung von Natürlichkeit widerspricht. Wir verändern die Welt an allen Ecken und Enden und das schon seit es Menschen gibt. Die Natürlichkeit haben wir in den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen schon lange verloren, wenn wir die heutigen Kulturpflanzen mit ihren in der Natur vorkommenden Vorfahren vergleichen. Die Weltbevölkerung steigt, während die für Ackerbau zur Verfügung stehende Fläche schrumpft. Nur mit modernen biotechnischen Werkzeugen können wir diese Herausforderungen meistern.

Ich sehe keinen Unterschied zwischen Züchtung und modernen gentechnischen Werkzeugen, außer dass die neuen Methoden präziser und viel schneller sind.

Was halten Sie von der Kennzeichnung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel?
Mühl: Eine umfassende Kennzeichnung ist am Ende weder möglich noch notwendig. Die Menschen essen heute schon viel mehr genetisch veränderte Lebensmittel, als sie glauben. Schon in meiner Zeit an der Uni haben wir festgestellt, dass viele Schokoriegel eines großen Herstellers genetisch veränderte Sojaproteine enthalten. Seit damals ist der Einsatz von Gentechnik in der globalen Lebensmittelindustrie noch deutlich gewachsen.

Wie könnte die Landwirtschaft von moderner Gentechnik profitieren?
Mühl: Der Einsatz von Düngemittel und Pestiziden könnte reduziert werden und die Qualität der Lebensmittel würde insgesamt steigen. Die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung würde gewährleistet und die Resistenz von Pflanzen gegen Trockenheit könnte verbessert werden. Ich habe das Glück, dass ich auf meinen Feldern bewässern kann, aber auch in Österreich kämpfen wir vor allem im Osten schon lange mit vermehrter Trockenheit. Wir müssen die Pflanzen klimafit machen, wenn wir auch in Zukunft genug zu essen haben wollen. 

VERANTWORTUNGSVOLLER EINSATZ NEUER TECHNIKEN

Könnten Eingriffe mit modernen Methoden negative Konsequenzen haben?
Mühl: Klar, auch Gentechnik ist nur ein Werkzeug und wir bestimmen, was wir damit machen. Ich halte zum Beispiel wenig davon, wenn große Konzerne Pflanzen resistent gegen Herbizide machen, um den Landwirten mehr Pflanzenschutz zu verkaufen und sie somit abhängig zu machen. Der großflächige Einsatz von zum Beispiel Glyphosat verbessert die Qualität der Lebensmittel und die Umwelt am Ende sicher nicht. Stattdessen sollte Gentechnik genutzt werden, um pflanzeneigene Schutzmechanismen, wie Resistenzgene gegen Schädlinge und Krankheiten, zu stärken. Über herkömmliche Züchtungen würde so etwas Jahrzehnte dauern, mit Gentechnik kann man das viel schneller erreichen und so den Pestizideinsatz deutlich reduzieren.

Wovor haben die Menschen konkret Angst?
Mühl: Die Menschen haben Angst, dass genetisch veränderte Lebensmittel Allergien, Unverträglichkeiten oder Krankheiten auslösen, obwohl unzählige Forschungsarbeiten die Sicherheit genetisch veränderter Nahrungsmittel bestätigen. Letztlich sind auch gentechnisch veränderte Gensequenzen in den Pflanzen nur Proteine die von uns Menschen gleichermaßen verstoffwechselt werden. Wenig hilfreich ist, dass es aus den USA vereinzelt Berichte über negative Auswirkungen durch gentechnisch veränderte Pflanzen gibt. Probleme verursachen in diesen Fällen aber nicht die veränderten Gene, sondern die Glyphosatrückstände in den Pflanzen, die durch den hohen Pestizideinsatz auf den Feldern entstehen. Auch hier könnte die Gentechnik Lösungen anbieten: Gesündere Pflanzen mit weniger Pestiziden sind verträglicher für den Menschen. 

Wir müssen die Pflanzen klimafit machen, wenn wir auch in Zukunft genug zu essen haben wollen.

Was können wir tun, um sicherzustellen, dass Gentechnik für die richtigen Ziele eingesetzt wird?
Mühl: In Österreich darf ich heute als Bauer keine gentechnisch veränderten Pflanzen anbauen, unabhängig ob ich konventionell oder biologisch wirtschafte. Wir brauchen daher einen neuen gesetzlichen Rahmen, der den aktuellen Stand der Wissenschaft – insbesondere die Sicherheit der neuen gentechnischen Maßnahmen – einpflegt, aber gleichzeitig Landwirt:innen und Wissenschaftler:innen vor den großen Konzernen schützt, die mit ihrem Patentwahn die Nahrungsmittelversorgung bedrohen. Ich bin deshalb auch Mitglied im Verband Bio Austria, der solche Missstände ständig anprangert, auch wenn ich in puncto Gentechnik eine ganz andere Meinung vertrete. Neben einem neuen gesetzlichen Rahmen braucht es zudem volle finanzielle Unterstützung der Wissenschaft, um eine unabhängige, nicht kommerziell orientierte Weiterentwicklung der Kulturpflanzen zu ermöglichen.

Warum sind viele Bio-Verbände gegen Gentechnik?
Mühl: Die Bio-Verbände wollen sich irgendwie abgrenzen, um Gehör von der Gesellschaft und der Politik zu bekommen. Sie vertreten teilweise veraltete Sichtweisen und es ist auch oft viel esoterischer Hokuspokus mit im Spiel, ganz ähnlich wie bei der Homöopathiebewegung in der Medizin. Durch solche ideologischen Färbungen werden die Fakten dann leider oft nicht mehr unvoreingenommen analysiert. Ich würde mir eine ähnlich ehrliche Beurteilung der wissenschaftlichen Fakten und gesellschaftliche Akzeptanz wünschen, wie dies beim Klimawandel der Fall ist.