15.06.2023 | 125 Jahre

Auf Spurensuche im anderen Griechenland

Seit 125 Jahren erforschen österreichische Archäolog:innen von Athen aus das antike Griechenland – abseits der Orte mit großen Namen und berühmten Erzählungen. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des kulturellen Erbes Griechenlands und dessen Bedeutung für unsere Geschichte.

Das antike Theater in Aigeira, einem der Orte, an denen die Außenstelle Athen des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW forscht. © AdobeStock

Das antike Griechenland gilt als Wiege der europäischen Kultur. Ob es um die Grundlage demokratischer Staatswesen, um Darstellungen von Kunst und Kultur oder um wissenschaftlich-analytisches Denken geht – zahllose griechische Errungenschaften zählen bis heute zum Fundament der europäischen Zivilisation. Aber warum gelang es gerade den antiken Griech:innen, so innovativ, kreativ und weitsichtig zu sein? Viele Antworten darauf finden sich an berühmten Orten wie Athen, Korinth oder Delphi. Doch diese Stätten vermögen nur zum Teil die Dynamik der antiken griechischen Gesellschaften zu erklären. Denn auch abseits der heute weltbekannten Zentren hinterließen griechische Städte und Heiligtümer ein kulturelles Erbe, von dem sich vieles über die Vergangenheit – und unsere Gegenwart – lernen lässt.

Das andere Griechenland

Seit 125 Jahren erforschen Archäolog:innen des Österreichischen Archäologischen Instituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) dieses „andere“ Griechenland. Von der im Jahr 1898 gegründeten Außenstelle in Athen werden vor allem Projekte in antiken Heiligtümern und Siedlungen in der nordwestlichen Peloponnes in den antiken Landschaften Arkadien, Achaia und Elis durchgeführt.

Etwa in der Stadt Aigeira, gelegen hoch über dem Korinthischen Golf. Hier unternahm Otto Walter, später langjähriger Leiter der Außenstelle Athen, bereits in Zeiten der Habsburgermonarchie im Jahr 1916 erste Grabungen, die seit 1972 vom Österreichischen Archäologischen Institut systematisch betrieben werden. Die Ergebnisse dieser Jahrzehnte währenden Grabungen in Aigeira sind beträchtlich: So konnte in der ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. aufblühenden Stadt etwa ein luxuriöses Gästehaus für offizielle Gesandtschaften , ein Theater und zahlreiche öffentliche Gebäude freigelegt werden, die Aufschlüsse über ein enorm hoch entwickeltes Gemeinwesen zulassen. Während die öffentlichen Bauten Aigeiras gut erforscht sind, ist nur wenig über das Alltagsleben der Stadt bekannt. Das Ziel einer neuen Kooperation mit dem griechischen Archäologischen Dienst ist es mit modernen Perspektiven und Methoden die Vielfalt des damaligen Lebens erfassen zu können. „Das ist“, wie die Leiterin der Außenstelle Athen Birgitta Eder im Gespräch mit der Austria Presse Agentur betonte, „das wirkliche Griechenland, das ist die Realität der antiken Gesellschaften.“

Verflechtung von Kult und Politik

Die antike Lebensrealität nachzeichnen will man auch an der Grabungsstelle Lousoi im Norden der Peloponnes. Seit Ende des 19. Jahrhunderts bildet diese einen traditionellen Schwerpunkt in der Forschung der Außenstelle Athen des Österreichischen Archäologischen Instituts. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung dieses Siedlungsplatzes zur Stadt war das Heiligtum der Göttin Artemis. Denn die religiösen Versammlungen, bei denen gemeinschaftliche Opfer und Mahlzeiten stattfanden, spielten, wie auch an anderen Orten in Griechenland, eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer Polis. Die Polis war ein städtisches Gemeinwesen, die ihr Zusammenleben in politischen, sozialen und religiösen Institutionen organisierte, auf die auch heute noch ein Blick lohnt.

Lange gesuchtes Heiligtum

Regelmäßig stoßen die Archäolog:innen auf überraschende Funde – und sorgen manchmal sogar für kleine Sensationen. So entdeckten sie in Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden in Kleidi-Samikon im Herbst 2022 das lange gesuchte Heiligtum des Poseidon in der Ebene unterhalb der antiken Festung von Samikon. Hier soll in einem nächsten Schritt nun der Tempel vollständig freigelegt werden.

Geophysik und 3D Scanning

Um diesen und weiteren Orten, an denen die Außenstelle Athen des Österreichischen Archäologischen Instituts Grabungen und Projekte durchführt, ihre Geheimnisse zu entlocken, wenden die Archäolog:innen der ÖAW modernste Methoden an, darunter geophysikalische Messungen oder 3D Scans. Sie erlauben, noch mehr über die Entwicklung des „anderen“ Griechenland zu lernen. Und damit mehr über die Fundamente der europäischen Kultur zu erfahren.